Was ist helles Alt?

Überwasser-Alt_FlaschenmeistereiZugegeben: Helles Alt ist selbst in Münster ein eher unbekannter Bierstil. Wegen der vielen interessierten Nachfragen holt Grutherr Philipp Overberg, der sich mit seinem neuen Überwasser-Alt vor dem traditionellen Münsteraner Bierstil verneigt, weit aus:

„Wenn man nur die Gegenwart des Stils „Helles Alt“ betrachtet, sieht es so aus: Es gibt nur noch einen traditionellen einheimischen Bierstil in Münster und der heißt Alt. Dieses Alt ist hell. Davon gab es bis letzte Woche nur einen kommerziell erhältlichen Vertreter, das „Pinkus Original“. Ich habe dem einen weiteren Versuch an die Seite gestellt, der sich bewusst deutlich davon unterscheidet, aber in den wesentlichen Charakteristika übereinstimmt: obergärig, hell, säuerlich, fruchtig, Einsatz von Weizenmalz. Speziell in den Kategorien säuerlich und fruchtig habe ich ordentlich auf die Sahne gehauen, weil das die beiden Aspekte sind, die mir an diesem Bierstil so gut gefallen. Dabei bin ich einerseits deutlich traditioneller als die Kollegen vom Rosenplatz, weil ich das Sauergut, also einen Anteil separat milchsauer vergorener Würze, sehr großzügig einsetze. Das historische Alt müssen wir uns vermutlich noch viel saurer vorstellen (s. u.). Gleichzeitig habe ich brachial modernisiert durch moderne amerikanische Aromahopfen der Sorten Amarillo und Citra, die zusammen mit der Säure den fruchtigen Eindruck in neue Dimensionen katapultieren.

Das „Überwasser-Alt“ ist somit ein retrogardistisches Experiment, das hinsichtlich Hefe, Malz, Bitterhopfung und Säure sehr altmodisch ist, sich hinsichtlich der Aromahopfung aber klar an moderne Pale Ales amerikanischer Herkunft anlehnt.

Versucht man, die geschichtliche Entwicklung des hellen Alts aufzurollen, muss man in die Zeit der mittelalterlichen Grutbiere zurückgehen, die in ganz Nordeuropa verbreitet waren. Sie waren vermutlich hell, da mit nicht gedarrtem „Luftmalz“ und gehörigen Portionen unvermälztem Getreide (Rohfrucht von Weizen, Gerste, Roggen, Hafer etc.) gebraut. Bei der Hefe können wir von Spontangärung ausgehen, die Biere werden also so sauer wie belgische Lambics mit obergärigen Wildhefen, Lactobazillen, Brettanomyces, Acetobacter und anderen wilden Sachen gewesen sein. Statt Hopfen wurde mit einer „Grut“ genannten geheimen Kräutermischung gewürzt. Ab ca. 1500 verdrängte der Hopfen nach und nach die Grut, die anfangs extrem stark gehopften Biere waren länger haltbar und besser für den Export geeignet, vermutlich konnte sich auch die Säure dank der antibakteriellen Wirkung des Hopfens nicht ganz so schnell und nicht so stark entwickeln wie im Grutbier.

Helle Sauerbiere waren also der Normalfall in unserer Region. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Modewelle der untergärigen hellen Lagerbiere böhmisch-bayerischen Stils nach Norddeutschland schwappte, konnten die meisten obergärigen alteingesessenen Biere nur noch in Nischen überleben – und auch das nicht besonders gut. Von ehemals 150 Altbierküchen in Münster hat nur eine bis heute durchgehalten. Am Niederrhein und in Düsseldorf entwickelte sich der Sonderweg des mehr oder weniger dunklen Altbiers, in Köln wurde das alte Bier nach dem Vorbild der neumodischen milden untergärigen Lagerbiere bis zur Unkenntlichkeit modernisiert und löste als blankgefilterte Neuerfindung „Kölsch“ seit den 1920er Jahren, dann verstärkt nach dem 2. Weltkrieg das traditionell verwurzelte trübe „Wieß“ ab.

Unser Münsteraner helles Alt geht zusammen mit dem rheinischen Alt und dem Kölsch auf einen gemeinsamen Vorgänger zurück, den man als Weizen-Sauerbier nordeuropäischen Typs bezeichnen könnte. Verwandte Überlebende mit ähnlichen oder gleichen Wurzeln sind die Berliner Weiße, Grätzer, Gose, belgische Gueuze und Wit. Das Verbreitungsgebiet erstreckte sich also von Posen bis Flandern. Helles Alt war somit einmal die normalste Sache von der Welt. Nur die Bierwelt hat sich gewaltig verändert.“

Ein Gedanke zu „Was ist helles Alt?

  1. Hallo!
    Endlich hatte ich jetzt einmal Gelegenheit, diesen Beitrag in Ruhe zu lesen… Wahnsinn, was alles an Historie in so einem Bier und seinem „Werdegang“ steckt! Sehr wissenswert und interessant, das Ganze informativ und locker verpackt. So macht das Spaß! Philipp, Du hast es wirklich raus! Das Brauen und das Schreiben :o)

    Gruß nach Münster,
    Andrea.

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